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Wissen, warum’s nicht geht! (1)

Es gibt keinen Mangel an Erkenntnis!

… Aber: …Warum handeln wir dann trotzdem nicht?

Zeit – Aufmerksamkeit– Kontext – Kommunikation

von Marcus H.V. Lohr

Lesezeit: 7 Minuten (1400 Wörter)

Wer das hier nicht liest, weiß nicht, ob die Beatles oder die Rolling Stones recht hatten.

Menschsein ist Geschichten erzählen. Geschichten erzählen ist Menschsein. Jedenfalls seit es Sprache gibt. Was hätte man auch am Höhlenfeuer anderes machen sollen? Irgendwann waren es keine Geschichtenrunden um das Lagerfeuer mehr, sondern die Geschichten wurden inszeniert.  – Wir haben das kultiviert. Entstanden sind daraus Kunst, Theater, Schauspiel, Literatur und Musik. Das Publikum ist nicht mehr die eigene Sippe, sondern nennt sich Publikum, Öffentlichkeit. Je bekannter ein „Erzähler“, je gefälliger sein Werk, je größer die Werbung, desto größer das Publikum, die Followerschaft. – Jetzt kommt ein altersgerechtes Beispiel, das für viele steht, aus der Musik meiner Generation.

Egal, ob Beatles oder Stones: Geht man die Liedtexte der „Großen“ durch, so werden da nicht selten enorme gesellschaftspolitische Grundsatzfragen gestellt. Für meine Generation in Deutschland war Udo Jürgens so einer oder ist es noch Grönemeyer.

Disclaimer: Ich bitte um Absolution meines begrenzten musikalischen Weltbildes, aufgrund meines Geburtsdatums, Jahrgang 1966. Ich muss aber mit dem arbeiten, was mich geprägt hat. … übrigens eine gute Bestätigung dafür, wie lange Prägungen nachwirken 😊. Das sehen wir an unseren Systemen jeden Tag. 

Gerne in die Kommentare weitere und auch moderne Beispiele. Welche Erfahrungen habt ihr? Wer sind „eure“ KünstlerInnen? Wir brauchen insbesondere noch ein paar Frauen in der Liste! Und vielleicht ein paar Textstellen, die euer Leben geprägt haben.

Aber auch für eure Beispiele wird mit hoher Wahrscheinlichkeit gelten: Man kann die Texte durchgehen. Sozialkritisch. Gesellschaftskritisch. Nach Aufbruch und Veränderung rufend. …

… und … ABER: Was passiert dann …?

Am Ende der meisten Konzerte gibt es einen versöhnlichen Song, viel Lichtspiel, früher gingen die Feuerzeuge an, heute die Handy-Kameras, … alle singen „dubidubidu“ … und gehen beseelt nach Hause, meist noch einen Stau vor der Konzerthalle oder dem Stadion verursachend, … und es passiert … trotz enormer Fangemeinde, astronomischer Reichweite … trotz wahrgenommener und mitgesungener Botschaft … im Alltag …

… NICHTS!

Ja, ab und zu kommen bei Krisen oder Katastrophen hohe Spendensummen zusammen. Denn Geld ist „unser Maßstab“ für etwas „tun“. Wer Geld gibt, muss sein Verhalten nicht überdenken. Und schon gar nicht ändern.

Woran liegt das? Dass wir die Probleme zwar sehen und … NICHTS … tun?

Eine Botschaft muss durch mehrere Filter.

Zeit – Aufmerksamkeit– Kontext – Kommunikation

ü  Zeit, der einzig wahre Engpass.

ü  Aufmerksamkeit, eine manipulierte Ressource.

ü  Kontext, der Bezug zur eigenen Situation … sorry, keine ZEIT.

 

ü  Kommunikation … mit all ihren Fehlern (falsche Vorannahmen, Verdrängung, Verzerrung, …)

Grafik: Marcus H.V. Lohr

Das sind stark konkurrierende Ziele oder Randbedingungen. Wir sind immer schneller, immer gehetzter unterwegs. Haben immer weniger Zeit.

… Kurz Einhalt! … Beobachten. Nachdenken. Mitdenken.

 

… ZEIT!

Stimmt das, bei steigender Lebenserwartung und der so vielen gesparten Zeit durch Convenience Food, etc.? – Thema für eine Vertiefung demnächst an anderer Stelle. So viel vorab: Schon Seneca wusste vor 2.000 Jahren: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern zu viel, die wir nicht nutzen.“

 

Wenn Zeit – ein Tag hat 86.400 Sekunden, 1.440 Minuten – nicht vermehrbar ist, aber sich die Möglichkeiten diese Zeit zu „verwenden“ explosionsartig entwickelt haben (und das innerhalb von 4 bis 5 Generationen), dann kommt die Evolution da nicht schnell genug hinterher. 

Wer ehrlich mit sich sein möchte: Wussten Sie das mit den Tagesstunden und -sekunden? Wahrscheinlich ja! Sie haben es ja bei sich: Ihr Handy, auf dem ein Rechner ist. Sie hätten es also wissen können! – Aber war es Ihnen auch BEWUSST? Wahrscheinlich eher nicht. – Das ist der Unterschied zwischen Potential, Wissen und sich bewusst sein!

Wir nehmen die Zeit als selbstverständlich. Und bei all den oberflächlichen Reizen, zerrinnt uns die bewusste Wahrnehmung zwischen unseren Fingern und den Gehirnlappen unserer Erinnerung.

Warum sind diese Erkenntnis und dieses Bewusstsein wichtig und uns dann doch so unwichtig? - … Wir sind nicht einmal Stunden-Millionäre und lassen uns diese wertvolle Zeit auch noch vielfach „stehlen“. Wer jetzt animiert ist, darf gerne rechnen und wird ziemlich ernüchtert sein!

Unsere Aufmerksamkeitsspannen sind ausgelegt auf ruhigere Zeiten.

 

… AUFMERKSAMKEIT!

Aufmerksamkeit ist eine besondere Ausprägung der Zeit. „Unserer“ Zeit. – Zeit ist Leben. Aufmerksamkeit kostet nicht nur unsere Zeit, sondern auch noch Energie. Aufmerksamkeit ist eine Form der Konzentration. Sie funktioniert wie ein Muskel. Oder eine Batterie. Wenn sie leer ist, muss sie wieder aufgeladen werden.

Richtig scheint jedenfalls die Beobachtung: Es nehmen zu aller Beschleunigung in allen Lebensbereichen durch die uns steuernden Systeme auch noch die Daten Tsunami-artig zu. Denn auch hier sorgen gerade Plattform-Systeme für explosionsartigen Zuwachs von … ja was? … „Inhalt“ mit „Gehalt“ ist es ja nur zu einem geringen Teil. Filtern, was wesentlich ist, wird daher immer schwieriger. Eine zukünftige Überlebenskompetenz.

Und das alles in immer weniger selbst beherrschter Zeit.

 

… ConteXt !

Und dann sollen wir auch noch den Bezug zu unserer eigenen Situation herstellen: ConteXt nach ConteNt. – vgl. den Blog Schlüsselkompetenz – Erklären können (2)

Das hat gleich 2 Hürden:

1.      Es ist uns das häufig unangenehm und wir wollen das daher vermeiden. Man könnte Fehler zugestehen müssen. Das kostet also enorme Überwindung. Jedenfalls oft.

2.      Eine solche Beschäftigung mit sich selbst kostet viel Zeit. Die haben wir ja durch unsere Systeme bereits weggenommen bekommen. Wir nehmen uns ja noch nicht einmal Zeit für gesunde Ernährung, gesundes Kochen, genügend lange zu kauen. Wie sollen wir uns da noch Zeit nehmen, unser Verhalten zu ändern?

 

… KOMMUNIKATION!

Und da kommen wir nun mit hängender Zunge zum 4. Punkt dieses magischen 4-Ecks. Der Kommunikation. Letztlich lässt sich jeder Fehler, jede Krise auf Kommunikationsfehler zurückführen. Kommunikation ist eine der allerwichtigsten Kompetenzen des Menschen. Kein anderes Lebewesen kann sprechen, schreiben, lesen.

Woran also liegt es, dass wir dermaßen „aneinander vorbei“ kommunizieren?

Nun, alle 4 dieser magischen Filter lernen wir in der Schule gar nicht oder nicht hinreichend. Es besteht ein enormes Ungleichgewicht dieser Kenntnisse zwischen denen, die „oben“ in unseren Systemen sitzen, und denen, die unten „strampeln“, psychologisch.

Wir kennen sie alle. Die Dampfplauderer! – Sie verkaufen uns die Reibungswärme, mit denen sie uns über den Tisch ziehen, je nach Profession als Wahlgeschenk oder Kundennutzen.

Die Kommunikation in Politik und Werbung hat sich hier weitgehend angeglichen. Psychologisch ausgefeilt mit Beratern und Agenturen, um Ihr BESTES zu erhalten: Ihr Geld, Ihre Aufmerksamkeit oder Ihre Stimme.

Ein weiterer Grund ist die sogenannte „déformation professionelle“. Jed*r hat’s eine Prägung, durch Job, durch Sichtweise. Daher reden Juristen und Informatiker, obwohl sie nur ein Buchstabe im Alphabet trennt, vielfach aneinander vorbei. Das liegt zum Teil daran, dass Juristen es beispielsweise noch nicht einmal hinbekommen gleiche Sachverhalte in 2 unterschiedlichen Gesetzen gleich zu formulieren. … oder waren das die Politiker, und die Juristen müssen das nur in der Praxis wieder interpretieren? – Und bei den Informatikern muss es passen. Da ist es digital. Null oder eins. Entweder ist das Auto beim Abgastest auf dem Prüfstand oder nicht. Das muss exakt formuliert sein.

Das sind nur 2 Beispiele des weiten Themas Kommunikation. Letztlich lassen sich die allermeisten Probleme, die Menschen miteinander haben, auf Kommunikationsprobleme zurückführen.

Und wir lernen darüber so gut wie

 

… NICHTS!

in der Schule.

Wir sehen also, dass das an allen 4 Eckpunkten der Grafik „Zeit – Aufmerksamkeit– Kontext – Kommunikation“ hakt. Kein Wunder, dass das zunehmend versagt.

Ein wichtiger weiterer Grund: Zeit und Aufmerksamkeit hängen eng zusammen. Zeit ist der einzig wahre Engpass. Lebenszeit ist nicht ersetzbar. Aufmerksamkeit und Konzentration einmal aufgewendet können nicht mehr ersetzt werden. Geld schon.

Insofern hinkt das Dogma „Zeit ist Geld“ auf einem Bein! Zu viele Zeit-Diebe. Zu viele Aufmerksamkeits-Diebe.

Wie also bringt man immer wichtiger werdende und aufgrund Lösungsaufschubs komplexer und teurer werdende Sachverhalte in immer kürzere Aufmerksamkeitsfenster? Die Quadratur des Kreises. Umso mehr, als die Aufmerksamkeit durch die oberflächlichen Themen bereits belegt ist.

Im „Business“, wo Zeit Geld ist und es bislang – trotz SDG’s (Sustainable Development Goals = UN-Nachhaltigkeitsziele) – kein höheres Credo als Geld gibt, muss man alles in einem sogenannten Elevator Pitch erklären können.

Wer mit Top-Entscheidern zu tun hat, wird bestätigen können: Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Mit „Verkleinerung“ des zeitlichen Beschäftigungsfensters einer Idee sinkt notwendigerweise die Tiefe. – Wer dann also nicht gut erklären kann, fällt durch.

Hier sind wir einem weiteren Problem auf der Spur.

... bleiben Sie dran!

 

Fußnote:

Der Einleitungstext soll keine übertriebene Huldigung an Thomas Edison sein, vielfacher Erfinder und Gründer der Gesellschaft, die heute General Electric heißt und auch AEG ihre Patente lizensierte. Für Interessierte sei empfohlen das Verhältnis von Edison und Nikola Tesla zu googln. Albert Einstein hielt Tesla für klüger als sich. Edison ließ Tesla für sich arbeiten, ohne ihn zu fördern. Wahrscheinlich sein größter Fehler. Die Menschheit wird nicht mehr erfahren, was sie dadurch versäumt hat.

 

Bildnachweis Titelbild: Glühbirnen Thomas Edisons

Von William J. Hammer - Downloaded from Elmer Ellsworth Burns (1910) The Story of Great Inventions, Harper & Brothers, New York, p.123, fig.59 on Google Books., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3262646

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Kommentare: 1
  • #1

    Carola Wendland (Sonntag, 05 Juni 2022 13:56)

    Sehr sehr spannend, werde mir Zeit einräumen müssen, um mich intensiver damit zu befassen. Scheint mir lohnenswert. Danke